BioShock in Space. Und auf einem Raumschiff.
Test von Benjamin Schmädig Redakteur
Veröffentlicht am
9 Kommentare
Audiovisuell bezauberndes Abenteuer auf einem getauchten Raumschiff mit sympathischen Charakteren, das erzählerisch nicht vollends überzeugt und wenig spielerische Tiefe hat.
Ich glaube, es gibt einen Aspekt, der in der Diskussion um „handgemachte“ und im Computer entstandene Spezialeffekte häufig unterschätzt wird: Schon das Wissen darum, dass Menschen mit etwas real Existierendem etwas besonders Cooles anstellen, verleiht diesem Effekt eine starke Wirkung. Und das gilt auf ganz ähnliche Weise auch für Kunst. Vor einem italienischen Dom sammle ich jedenfalls meine Kinnlade vom Boden auf, während ich einen Marvel-Film bestenfalls als ganz nett wahrnehme.
Bleibt die Frage, was denn nun bei Harold Halibut zutrifft, denn was auf dem Bildschirm zu sehen ist, sind ja keine in Miniaturkulissen gefilmten Knetfiguren, wie man sie aus A Nightmare Before Christmas kennt. Der Witz ist aber: Tatsächlich hat das Kölner Studio Slow Bros. praktisch alle Kulissen und Figuren zunächst per Hand erstellt – und dann erst so digitalisiert, dass es deren virtuelle Ebenbilder als interaktive Teile seines Videospiels verwenden konnte.
Immerhin spielt sich Harold Halibut wie ein klassisches Adventure. Gut, ganz klassisch vielleicht nicht, da man sich nicht per Maus durchklicken darf. Abgesehen davon läuft man als Harold aber eben frei herum, spricht mit anderen Charakteren und bedient hin und wieder mal einen Computer oder nutzt den öffentlichen Nahverkehr. Damit ist das Röhrensystem gemeint, welches die verschiedenen Decks des auf dem Meeresboden eines fernen Planeten gestrandeten Raumschiffs verbindet.
Ganz recht: Stilistisch mag Harold Halibut wunderbar knorrig erscheinen, erzählerisch handelt es sich um handfeste Science-Fiction. Immerhin ist dieses Raumschiff vor 250 Jahren von der vermutlich bald zerstörten Erde gestartet, damit ihre Besatzung ein neues Zuhause finden könnte – was leider darin endete, dass die Fedora abgestürzt ist. Glück im Unglück, dass der gesamte Planet mit Wasser bedeckt ist und das Schiff deshalb auf einen langen Tauchgang ging, anstatt komplett an der Oberfläche zu zerschellen.
50 Jahre ist das nun her. Der titelgebende Harold kennt sowohl die Reise durchs All als auch den Absturz nur vom Hörensagen. Als Handwerker und Laborassistent einer Wissenschaftlerin ist er damit beschäftigt, die kleinen und großen Löcher des Schiffs zu stopfen. Mal ist die Filteranlage verstopft, weshalb man deren einfache Benutzeroberfläche bedienen muss, um sie zu reinigen. Ein anderes Mal soll er eine Gewebeprobe für seine Chefin vorbereiten, wofür man ihn den riesigen Behälter mit der Probe in das Analysegerät tragen lässt. Und nach getaner Arbeit führt ihn der Weg stets ins Bett, bevor der nächste Tag beginnt.
Diese Routine steht selbst dann im Vordergrund, wenn Harold eine bedeutsame Entdeckung macht, wenn sich die Besatzung der Fedora darauf vorbereitet, das Raumschiff zu starten, um seine unfreiwillige Landezone nach all den Jahren endlich zu verlassen, und wenn das für Transport und Energie zuständige Unternehmen finstere Ziele zu verfolgen scheint. Gut, dass eine aufrührerische Organisation diesem fiesen Plot schon auf der Spur zu sein scheint – während Harold weiter seinen ganz alltäglichen Pflichten nachgeht.
Denn es sind auch diese einfachen Abläufe, die dem Schauplatz seine glaubwürdige Präsenz verleihen und damit eine perfekte Verbindung zu den plastischen, von Hand gemachten Kulissen herstellen. Immerhin hat Slow Bros. seine aus Metall, Holz, Plastik und Stoff gearbeiteten Dioramen mit so vielen Kleinigkeiten versehen und auf so überzeugende Art digitalisiert, dass es wahnsinnig faszinierend ist, sich darin zu verlieren.
Dabei haben die Entwickler auch darauf geachtet, dass die Charaktere einen Gegenstand zum Beispiel so aufnehmen und einer anderen Person in die Hand geben, wie sie das in einem Stop-Motion-Film tun würden. Fallen Gegenstände über- oder hintereinander, erinnert das ebenfalls an die Physik solcher Animationen. Und manchmal spielt Slow Bros. auch augenzwinkernd mit diesem altmodischen Stil und dem Szenario. An einer Stelle schaltet Harolds Chefin etwa die Freisprechanlage ihres Telefons ein – indem sie ihren Assistenten den Hörer des Wählscheibentelefon abheben und in ihre Richtung halten lässt.
Manchmal ist das ein wundervoller, relativ leiser Humor, der Harolds kleines Abenteuer begleitet. Ich muss allerdings auch sagen, dass er für mich nicht immer ins Schwarze trifft. Was zu einem großen Teil daran liegt, dass die Inszenierung über weite Strecken seltsam einförmig wirkt. Sowohl die für sich genommen gute Musik als auch Animationen und Kameraführung sind oft so gleichbleibend, dass weder überraschende noch witzige Momente als solche wirken können.
Nur in wenigen Gesprächen gibt es eine Entwicklung über den Wechsel der Musik oder eine Kamerafahrt, sodass auch Emotionen eine Rolle spielen. Und ist das der Fall, funktioniert das richtig gut! Sehr gelungen finde ich Übergänge, die zu spezieller Musik und über kurze Szenen das Vorüberziehen mehrerer Tage darstellen. Abgesehen davon wurden die meisten Unterhaltungen nicht als profanes Gegenüberstehen mit bewegten Lippen aufgenommen, sondern jeweils einzigartig animiert.
Über weite Strecken empfinde ich Harold Halibut daher auch als verschenktes Potential. Es steckt viel drin, das sich aber gar nicht voll entfalten kann.
Das betrifft ja nicht nur die Inszenierung. Auch das ständige Herumlaufen, um am Ziel lediglich den einzigen Interaktionspunkt zu aktivieren, ist auf Dauer doch dezent ermüdend. Die wenigen Male, die man einen Computer bedienen oder in der Spielhalle gar an einem Automaten spielen kann, sind klasse. Sie sind nämlich so gestaltet, dass sie hervorragend in die knorrige Umgebung passen. Ich wünschte nur, davon hätte es viel mehr gegeben.
Das ist umso bedauerlicher, da man nicht nur dem roten Faden folgen muss, sondern auch kleine Nebenaufgaben erledigen darf. Nur sind das ebenfalls fast alles Gespräche und in den wenigsten Fälle solche, die meine Beziehung zu dieser Welt und ihren sympathischen Figuren verstärkt haben. Während die Einfachheit der Aufgaben also an diesen bodenständigen und plastischen Schauplatz passt, so wenig mag ich es, Harold fast nur bei Reden zuzuschauen.
Harld Halibut wird in den digitalen Stores der jeweiligen Plattform-Anbieter erhältlich sein. Die PC-Fassung wird dabei ausschließlich auf Steam angeboten.
- Steam
- PlayStation Store
- Xbox Store
- Teils famose, von Hand erstellte Dioramen und Knetfiguren, die mit Liebe zum Detail animiert wurden
- Weitgehend physikalisch überzeugende Interaktionen und gelegentliche unterhaltsame Minispiele
- Sympathische Charaktere an einem ebenso fantastischen wie bodenständigen Schauplatz
- Viel Hin- und Herlaufen zum Aktivieren des jeweils nächsten Gesprächs
- Erzählerische Schwächen und überwiegend gleichförmige Inszenierung, bei der einige wichtige Momente kaum zur Geltung kommen
- Kleine technische Probleme
Hinzu kommen einige Entwicklungen, die allzu vorhersehbar wirken, sowie Szenen, in denen die Figuren lang und breit ihre Welt erklären. Ein gefühlvolles Show-don’t-Tell habe ich dort schmerzlich vermisst. Und ich muss sagen, dass irgendwann Areale hinzukommen, die ich stilistisch weniger überzeugend finde als die ersten Räume, zumal dort auch größere Brüche in der ansonsten glaubwürdigen Physik auffallen. Ich will mich nicht an Kleinigkeiten aufhängen, weshalb ich sie bisher auch nicht erwähnt habe. Dort leidet der plastische Eindruck für mein Empfinden aber zu sehr, was gerade diesem Spiel nicht guttut.
Nicht zuletzt haben sich in der Testversion mit fortlaufender Dauer kleine technische Fehler gemehrt. Dazu zählen Aktionspunkte, an denen Harold einfach stehenbleibt, ohne etwas zu tun, sodass man das Programm beenden und neu starten muss. Außerdem kam es vor, dass beim Wegklicken einer Textzeile nicht nur die aktuelle übersprungen wird, sondern gleich mehrere, sodass man Teile des Gesprächs glatt verpasst.
Harold Halibut im Test – Fazit
Das heißt aber nicht, dass ich euch Harold Halibut nicht empfehlen kann. Ganz im Gegenteil: Wer auf entspannte Art eine sympathische Geschichte erleben will und sich an einzigartigen, detailversessenen Dioramen erfreuen kann, der wird viel Freude damit haben! Das Abenteuer strotzt vor liebevollen Details, sowohl in der audiovisuellen Gestaltung als auch der interaktiven Umsetzung. Es ist aber gleichzeitig ein überschaubares Spiel, bei dem man viel zwischen immer gleichen Räumen hin und her läuft und außer zuhören nicht viel tut. Und so liebevoll die Inszenierung auch ist, so gleichförmig wirkt sie über weite Strecken, wodurch ich eher das kleine Kunstwerk bewundert habe als emotional beteiligt zu sein. So gerne ich Harold Halibut fest ins Herz schließen würde: Ein ganz großes Abenteuer ist es damit nicht.
Harold Halibut | |
---|---|
PRO | CONTRA |
| |